Texte, Manifeste, Konzepte, Theorie und Lebendigkeit
 
 
 

Institutionen und Illusionen


 
Öffentliches Schreiben von Alexeij Sagerer, proT
an Frank Baumbauer, Münchner Kammerspiele

21. September 2005

....alles begann damit, dass die Kammerspiele Alexeij Sagerer fragten,
ob er sich vorstellen könnte, bei dem Projekt "Glaubenskriege" mitzumachen....


Genosse Baumbauer.
Sehr geehrter Herr Intendant!
Sie Gipfel einer Selbst-Vision von Theaterhierarchie.


Heute scheint mir ein günstiger Termin zu sein, mich mit Ihren Zeilen vom 25. April 2005 zu befassen, und ich will damit hinten beginnen, bei Ihrem P.S. und dem Abspann Ihres Blattes:

"P.S.: Und noch etwas: Ich bin immer skeptisch, wenn Briefe "öffentlich behandelt" werden, über Abschriften und Verteiler etc. Das zeigt letztlich, dass man mehr an Öffentlichkeitsarbeit denn an direkter Auseinandersetzung interessiert ist.

DAS THEATER DER STADT"


Die Kammerspiele sind weder DAS THEATER DER STADT noch DIE LETZTE ÖFFENTLICHKEIT oder DIE LETZTE ÖLUNG - weder überhaupt noch für den Bereich Theater. Natürlich ist diese Sache zwischen den Kammerspielen und dem proT eine öffentliche Angelegenheit. Und wie weit es die Öffentlichkeit interessiert, wird diese entscheiden. Die Kammerspiele sind dabei nicht in der Position, die Grenzen zu ziehen. Weder in der Frage 'was darf öffentlich werden?' noch in der Frage 'wie öffentlich darf es denn sein?'. Dies mögen Sie in Ihrem Institut so regeln können, aber nicht hier.

Die Kammerspiele scheinen aber auch zu glauben, das Mass der Dinge in anderen Fragen zu sein, wie der Abspann Ihres Blattes vermuten lässt. Nein, die Institution beantwortet nicht die Frage, wer oder was DAS THEATER ist, und auch nicht, wer DIE STADT ist. Die Kammerspiele sind eben nicht DAS THEATER DER STADT, sondern das Stadttheater, eigentlich lediglich eines der städtischen Theater und eher das Theater der Stadtverwaltung als DAS THEATER DER STADT. Und ebenso wenig, wie die Stadtverwaltung glauben sollte, sie wäre die Stadt, sollte die Institution Stadttheater glauben, sie wäre das Theater.

Ähnliche Ansprüche kennt man von anderen Institutionen. So wähnt sich der Heilige Stuhl in Rom von Gott erwählt und im Besitz des Wahren Glaubens, und versucht seine Probleme in internen Öffentlichkeiten zu klären. Auch die USA lieben die Illusion, der wahre Staat zu sein, gewählt vom richtigen Volk, während alle anderen Staaten wenigstens überprüfbar bleiben oder um Anerkennung ringen müssen.

Das macht geradezu Institutionen aus, ob Staat, Heiliger Stuhl oder Stadttheater, dieses Gefühl der Erwähltheit, gefolgt von einem Gefühl der Macht und zurückbezahlt durch Kontrolle. Daraus erwächst ein im Prinzip endloser Strauss von Illusionen.

Ihre Zeilen sind eine beliebige Auswahl dieser Illusionen. Und so folgt auf die Illusionen, das erwählte Theater zu sein und das Primat auf Öffentlichkeit zu haben, die Illusion der wahnsinnigen Wichtigkeit: Offensichtlich leben die Kammerspiele, DAS THEATER DER STADT, mit dem Generalverdacht, dass sich alle Welt an ihrer masslosen Bedeutung hochziehen will. Darauf folgt die rührende Selbstunterstellung, die Kammerspiele hätten ohne meine Post mehr an einer direkten Auseinandersetzung interessiert sein können. Die Institution lebt gerne auch in der Illusion, für alles offen zu sein.

Sie werden nicht angenommen haben, dass Ihre Zeilen vom 25. April 2005 mich von irgend etwas, was immer es auch sein mag, überzeugt haben. Schon gar nicht davon, dass die Institution Stadttheater sowieso richtig liegt, wenn es darum geht, wie sie zum Theater kommt. Es tut doch nichts zur Sache, dass Sie vermuten, dass die Angelegenheit für mich kein Problem darstellt. Und wenn Sie denken, dass ich damit selbstbewusst umgehen kann, dann liegen Sie richtig. Und deswegen ist es einfach zu wenig, mir zu schreiben, dass es für Sie in Ordnung ist, wie die Kammerspiele mit so etwas umgehen. Dies zeugt lediglich von einem ziemlich fahrlässigen Selbstbewusstsein Ihrerseits.

Ich bin mir nicht sicher, ob Sie wirklich nicht wissen, was da nicht in Ordnung ist und ab wann und wie dieses Nicht-in-Ordnung-Sein beginnt, oder ob Sie nur eine lästige Nebensächlichkeit vom Tisch wischen wollten, um das Haus sauber zu halten. Aber Sie können mir doch nicht allen Ernstes die arme, leidende Institution vorspielen, die von meinem grossen und grundsätzlichen Misstrauen verfolgt wird.

Ich habe weder ein grosses noch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Instituten wie den Kammerspielen. Diese Institute produzieren Institution und in gewisser Weise ist dies auch richtig so. Aber richtig ist auch, dass die Institution kein Ziel meiner Theaterarbeit ist.

Da aber eine selbstbewusste Institution Kontakt zu einem Ausserhalb sucht und braucht - meistens um es zur Institution zu verführen, manchmal aber auch, um vielleicht selbst ein wenig Nicht-Institution zu werden - ist es möglich, temporär mit einer Institution zusammenzuarbeiten. Eigentlich weniger mit der Institution selbst, als mit einigen ihrer Mitarbeiter, die dies wollen und dazu in der Lage sind.

Es gibt natürlich Beispiele einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen proT und Institutionen aus dem Theater- oder Kunstbereich. Ich werde dazu hier keine Liste aufstellen. Und es gibt Kontakte, aus denen keine Zusammenarbeit entstanden ist. Entscheidend ist, dass nie etwas gemacht wurde, das nicht beide Seiten wollten und sich vorstellen konnten.

Natürlich dürfen sich Situationen verändern. Das ist doch nicht das Problem.
Aber Sie können nicht auf mich zugehen und dann prüfen, ob Sie auf mich zugehen wollen. Um im nächsten Schritt so zu tun, als hätte ich mich bei Ihnen beworben und Sie müssten in monatelangen Entscheidungsprozessen hinter verschlossenen Türen klären, wie Sie damit verfahren wollen.

Was ist das für eine Vorstellung von dem Theater, das ausserhalb der Institutionen wird. Und ich spreche dabei nicht für das Theater, das darauf wartet, in die Institution geholt zu werden und das seinen Wert über die Institution reflektiert. Ich spreche von einem Theater, das eine Ebene besiedelt, die eigentlich vor dem Theater liegt. Während die Institution versucht, auf einer Theaterebene ihren Apparat aufzubauen, Werte herausgrenzt und dabei die unendliche Liste ihrer Illusionen wachsen lässt.

Die folgenschwerste dieser Illusionen ist, dass die Institution glaubt, der wahre Wert des Theaters wäre ihr immanent und das Ausserhalb würde von ihr zu diesem Wert zugelassen, wenn es soweit ist. Daher glaubt die Institution, sie wüsste schon, wie man mit diesem Ausserhalb umzugehen hat.

Was passiert, wenn die Institution dabei auf ein Ausserhalb trifft, dessen Horizont nicht der Werte-Kanon der Institution ist, der am Ende zum 'Theater des Jahres' führt? Ein Ausserhalb, das immer unzeitgemäss ist, während die Institution immer auf der Höhe der Zeit ist.

Dann repräsentiert die Institution Glaubenskriege, ohne zu begreifen, dass sie selbst einen Glaubenskrieg führt. Dann gaukelt die Institution dem Hasenbergl eine Hierarchie-Verschiebung vor, während sie eine Staatstheater-Hierarchie praktiziert, die um sich herum nur Theater-Hasenbergl kennt. Dann verwandelt sie die mögliche Verrücktheit des Hasenbergls in die Biederkeit von "Bunnyhill" und schreibt dafür eine unsägliche Nationalhymne. Die Institution betreibt Problem-Casting, anstatt zu versuchen, etwas Hasenbergl, also Nicht-Institution zu werden.

Ähnlich fatal ist es, wenn ein Staat wie die USA glaubt, er wäre nicht auf dem unendlichen Feld der Menschenrechte errichtet, sondern die Menschenrechte wären ihm immanent. Oder wenn dies der Heilige Stuhl in Rom vom Wahren Glauben annimmt.

Nicht der Begriff des Theaters ist den Institutionen immanent, sondern die Institution ist dem unendlichen Fluss des Theaters immanent und darin mag sie sich explizieren, wenn sie glaubt, dass sie es braucht.

Grüss Gott

Alexeij Sagerer, proT

P.S.: In Ihren Zeilen an mich findet sich der Satz "Oft ist der Papierkorb abgelegter Wünsche reicher gefüllt als das tatsächlich Realisierte." Ich nehme jetzt einfach zu Ihren Gunsten an, dass Sie dabei in den falschen Zettelkasten gegriffen haben.

Dieser Text ist mit den folgenden Anlagen öffentlich zugänglich:

  Brief von Alexeij Sagerer vom 18. April 2005 an die Kammerspiele
  Antwortschreiben von Frank Baumbauer vom 25. April 2005
 
 
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