AllerweltsMahl, 26./27. Februar 2011
öffentliche und verborgene Orte in der Stadt München
 

 
Lebensmittelmassaker
Alexeij Sagerers Theaterprojekt "Allerwelts-Mahl"
 
Es ist ja Fasching. Da fällt es nicht weiter auf, wenn nacheinander vier Männer, nackt bis auf eine um die Lenden geschlungene Windel, mit ihren ganz in Weiß gekleideten Begleiterinnen in ein Taxi steigen, um auszuschwärmen in eines von vier Lokalen. Diesen Lendenschurzmännern hätte man vor ihrem Abgang jeweils zwei Stunden lang dabei zuschauen können, wie sie sich von ihrer jeweiligen Dame füttern ließen. Melone, Parikaschoten, Gurke, Wienerwürstchen, Götterspeise, Tomate, Powerdrinks, Kopfsalat, Brathendl, Schweinshaxe, Augustiner Hell, Wasser und endlich batzige Schwarzwälder Kirsch, das alles gelangt von zarter Frauenhand in sich willig öffnenden, kauenden, schluckenden und sich nie widersetzenden Männermund.
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Weil hintendran die Callas Dramatisches gurgelt, könnte man meinen, Alexeij Sagerer habe hier eine Oper in vier Akten inszeniert. Und dies nach allen Regeln der klassischen Kunst, da seine Fütterinnen die Männer füttern nach einer strengen Partitur und Sagerer sie selbst anweist, in welchem Tempo sie Salatköpfe zu zerrupfen und sogleich zu verfüttern haben. Zumindest in diesem winzigen noch namenlosen Performance-Space nahe dem Sendlingertorplatz herrscht die Einheit von Zeit und Ort. In Echtzeit laufen auch die Videoaktionen, Zitate zum Teil aus früheren Sagerer-Stücken, die Dauerduscherin aus dem "Reinen Trinken" oder die laszive Nackte der "Reinen Pornografie".
 
Aber reine Zitate sind das nun auch wieder nicht, denn das Theater ist ja ein Prozess, und hier sind immer diese Männer dabei. Der Jeweilige im grünen Raum flackt auf dem Bett und raucht und trinkt Bier. Und der in der Kneipe läßt sich manierlich die Speisen hineingabeln. Der eine stets passiv, mit stoischem Gesicht, die andere aktiv, betreiben in ihrem wüsten Lebensmittelmassaker die Umkehr eines ideologischen in ein archaisches Bild: Die Nährerin nährt den sogenannten Ernährer. Das ist im leben so, wenn die Mütter ihre Söhne stillen und windeln. Das ist im Alter so, wenn weiße Schwestern mümmelnde Greislein füttern und waschen.
 
Da Alexeij Sagerer gern im Profanen das Göttliche und im Alltäglichen das unheilige Ritual entdeckt, um es neu zu inszenieren, ist die Sauereri am Ende von zwei Stunden auf dem männlichen Körper wie auch auf dem Tisch vor ihm nichts anderes als ein Opfer auf dem Altar namens Bühne.
 
EVA-ELISABETH FISCHER

 
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