7. Christine Dössel und Marietta Piekenbrock
C. Bernd Sucher (Hrsg.),Theaterlexikon.Personen, München, dtv 1995, völlig neu bearbeitete und erweiterte 2. Auflage September 1999
 
 

 
Sagerer, Alexeij, geb. 1944 in Plattling, Niederbayern. Schauspieler, Regisseur, Autor, Theaterleiter. 1969 gründete er in München sein Prozessionstheater proT, das er seither leitet. Er bezeichnet sein Theater als "unmittelbares Theater". Es ist "mein Theater der Erfahrung", in dem ein Darsteller nicht allein als Rollenspieler, sondern fast immer auch mit seiner ganzen physischen und psychischen Persönlichkeit gefordert ist. Sagerer sagt: "Unmittelbares Theater ist ein Prozeß, bei dem es nichts gibt, was nicht zum Ausgangspunkt für Unmittelbares Theater gemacht werden kann, denn Theater ist vom Material her unbegrenzt." Wichtige Stücke beziehungsweise Inszenierungen u.a.: ›Watt'n oda ois brenn' ma nida‹ (1974); ›Der Tieger von Äschnapur Eins oder Ich bin die letzte Prinzessin aus Niederbayern‹ (1977); ›Zahltag der Angst‹ (1981); ›Der Tieger von Äschnapur Zwei oder Ich bin das einzige Opfer eines Massenmords‹ (1982); ›Küssende Fernseher‹ (1983); ›Konzert einer Ausstellung - Der dauernd und überall beginnende Tieger von Äschnapur Unendlich‹ (1985); ›proT trifft Orff. Carmina Burana trifft den Tieger von Äschnapur...‹ (1985); ›Lauf, Othello, lauf!‹ (1985); ›Intercity‹ (1986); ›Tödliche Liebe - Comics I in Oper‹ (1986); ›proT für die Welt‹ (1986); ›Das Stärkste TierSpielSpur‹ (1986). 1987 inszenierte Sagerer im Münchner Studiotheater (als Gast) Kroetz' ›Wunschkonzert‹. Darüber schrieb Wolfgang Höbel in der ›Süddeutschen Zeitung‹: "Wie hier ein Regisseur und seine Schauspielerin in heftigem Streit mit einem längst anerkannten Autor und seinem Theaterverständnis großes, sinnliches Theater machen - das gehört zum Aufregendsten, was sich in den letzten Jahren in der Privat-Theaterszene ereignet hat. Was nicht zuletzt daran liegt, daß sich der verdiente Bühnen-Wilde Alexeij Sagerer endlich einmal bezähmt hat, seine ebenso bizarre wie ausufernde Phantasie in eine überzeugende Form zwingt." (11.3.1987) Und Helmut Schödel schrieb in der ›Zeit‹: "Sagerers ›Wunschkonzert‹, weder ein Augen- noch ein Ohrenschmaus, ist eine Rarität im Theater dieser Jahre. Sein Thema, seine Kraft ist die Polemik. Ist das nicht wunderbar?" (20.3.1987)
Weitere Arbeiten: ›7 Exorzismen‹ (1988): ›Maiandacht‹ (1991); Inszenierung von Fassbinders ›Das Kaffeehaus‹ (1992).
In einem großangelegten ›Nibelungen & Deutschland Projekt‹ beschäftigt sich Sagerer seit 1992 mit dem Nibelungenmythos, mit Wagners ›Ring des Nibelungen‹ und dem wiedervereinigten Deutschland: ›Der Nibelung am Viervideoturm‹ (1992, mit Sagerer und Zoro Babel); ›Trommeln in Strömen‹ (1992, einmalige Veranstaltung in der Münchner Muffathalle, mit sieben Performerinnen); ›Recken bis zum Verrecken‹ (1994); ›Das Fest zum Mord‹ (1994, einmonatiger Aufführungszyklus mit internationalen Performerinnen); ›Meute Rudel Mond und Null‹ (1994) - Sagerer selbst spielte jeweils den Siegfried. Über das Performance-Spektakel ›Siegfrieds Tod‹ schrieb Eva-Elisabeth Fischer: "Deutschland - ein Horrormärchen, mythenschwer. Alexeij Sagerer, der Lichtspender, wirft Schlagschatten über die sieben Thing-Plätze seines Theaterspiels, das auch Stadt, Land, Fluß heißen könnte. Sagerer, der Zauberer, zählt das Hexeneinmaleins, rechnet 7 x 7. Nach den deutschen Flüssen sind die deutschen Städte dran, Dresden, Berlin, München, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf, übereinandergeschichtet in Bildern auf je sieben Monitoren, gestapelt zu sieben Videotürmen. Sieben Frauen assoziieren simultan›Siegfrieds Tod‹ - in sieben Phasen von sieben Minuten. (...) Sind es sieben Brünnhilden, die hier spielerisch, blutig, obszön die Quittung für Siegfrieds Betrug präsentieren? (...) Alexeij, wir folgen dir. Denn die Prozession durch das ›Nibelungen & Deutschland Projekt‹ ist aufrüttelnde Expedition mit viel Kommunikation: Deutschland im Herbst 1993, kompakt." (›SZ‹, 29.10.1993). Das ›Nibelungen & Deutschland Projekt‹ mündete 1995 in die ›Götterdämmerung‹: 1. Teil ›Nomaden und Helden‹, 2. Teil ›Siebenmalvier‹, 3. Teil ›Endgültig‹ (an drei aufeinanderfolgenden Abenden im Münchner Marstall, mit der Performerin Nina Hoffmann, mit verschiedenen Musikern und Wissenschaftlern). Unter dem Titel ›...Und morgen die ganze Welt‹ folgte im Oktober 1997 der Epilog: Eine 28stündige Theaterexpedition in der Münchner Reithalle. 14 Personen und 7 Schafe wurden für 28 Stunden in einen riesigen Kubus eingeschlossen. Die Eingeschlossenen - Künstler, Musiker, Organisatoren etc. - drehten über ihren Aufenthalt im Kubus einen Film in 7 Kapiteln à 4 Stunden ("den größtem Film aller Zeiten"). Um den Kubus herum gestalteten 7 Künstler aus unterschiedlichen Bereichen ein Performance-Programm (jeweils 4 Stunden lang). 1997 wurde Sagerer mit dem Theaterpreis der Stadt München ausgezeichnet.